Peru – Tatsachen, Mythen und magische Details
Nach dem Aufenthalt in Iquitos – dem heiligen Gral – nach einer langen, strapaziösen aber wunderschönen Reise auf dem Napo Fluss und dem erneuten Eintauchen in die Zivilisation, wundere ich mich immer noch darüber wie Lärm, Dreck, Kommunikation, Medien, Stress und Architektur auf mich wirken, obwohl ich nur eine Woche ohne diese Gewohnheiten verbracht habe. Ich wundere mich momentan sowieso darüber, über was ich mich alles wundern kann, aber vor allem wie magisch mein Leben sein kann!!!
Chachapoyas – Geschichte und Gegenwart
Die letzten Wochen genossen Lucia und ich nach und nach wieder die Vorzüge die diese Gesellschaft aufzuweisen hat. Das nächste Ziel war Tarapoto: eine saubere, kleine aber feine Stadt mit ruhigen, netten Leuten. Geradezu perfekt um sich wieder an die Zivilisation und an Peru generell zu gewöhnen. Chachapoyas liegt weitere 8h westlich davon. Von dort aus erkundeten wir, länger als eigentlich gedacht, die eindrucksvolle Andenkulisse und die umliegenden archäologischen Fundstätten.
Die erste Exkursion war zu einer riesigen Tropfsteinhöhle aus Kalk (Caverna de Quiocta) welche von der Chachapoyaskultur auch als Friedhof und Folterplatz genutzt wurde. Es ist schon etwas gruselig an so einem Schauplatz zu sein und gleichzeitig ziemlich beeindruckend über wie viele Millionen Jahre sich diese riesige Höhle gebildet hat. Am gleichen Tag fuhren wir über eine der vielen kurvigen Andenstraßen (welche definitiv nicht bei Regen zu empfehlen sind) zu einem Bergdorf, von wo aus wir dann zu den „Sacrofagos de Karajia“, in Felsen aufbewahrte Grabstatuen der größten Herrscher der Kultur, wanderten. In der Gegend sind noch einige der Erinnerungsstücke an die Chachapoyaskultur finden. Sie waren ab 800 hier angesiedelt, bis sie 1480 von den Inkas abgelöst wurden und heute meist in deren Schatten stehen.
Caverna de Quiocta
Am nächsten Tag nahmen wir uns eine Wanderung zum drittgrößten Wasserfall der Welt vor (Cataratas de Gocta, 771 m). Abgesehen von der Größe und dem Weg durch den Regenwald von Cocachimba aus – ist es beeindruckend, dass der Wasserfall erst 2002 „entdeckt“ wurde und 2006 der Welt mitgeteilt wurde. Die Einheimischen glauben an einen Fluch der besagt, dass eine schöne Meerjungfrau um die Lagune wohnt und alle verflucht die sich dem Wasserfall nähern oder das geheimgehaltene Naturspektakel verraten.
Catarata Gocta
Dem Fluch zum Trotz funktioniert die Vermarktung des Dorfes und des Wasserfalls auf einer gesunden Basis. Die Touristen werden von den Einheimischen persönlich begrüßt, die Natur und Wanderwege geschützt und das eingenommene Touristengeld innerhalb der Gemeinde verteilt.
Die dritte Exkursion von Chachapoyas aus – und der absolute Höhepunkt des Programmangebots der Region auf 3100 m war Kuelap – eine Ruinenzitadelle der Chachapoyakultur und eine weitere absolut beeindruckende verlorene Stadt, ähnlich der Ciudad Perdida in Kolumbien. Die Ruine gilt als die zweitwichtigste präkolumbianische Fundstätte Perus, nach dem Machu Pichu. Unser Guide schaffte es die Geschichte sehr charmant und präsent herüber zu bringen, was den Tag zu einem perfekten Geschenk machte.
Kuelap
Regenwald in Kuelap
Es ist schon immer witzig, was für Leute wir auf Exkursionen kennenlernen. Diesmal hatten wir Glück: die Konstellation war eine lockere Gruppe netter Leuten aus allen möglichen Ländern, deren Namen ich aber schon wieder vergessen habe. Und wie immer auf Reisen und im Leben ergaben sich viele Gespräche, viel Blödsinn, viel Interessantes…
In Peru scheinen Tradition, Mythen und das kulturelle Erbe besonders tief in der heutigen Zeit verankert zu sein. Dabei fällt es mir manchmal schwer zu erkennen wo die Mythen aufhören und die Tatsachen anfangen und umgekehrt. Der aktuelle Mensch (und ich zitiere dabei den Kuelap-Guide) nimmt die Zeit anders war, alles funktioniert schneller und anders. Früher hatten die Menschen über Generationen Zeit Dinge zu verändern. Das sieht man beispielsweise auch an den Ruinen von Kuelap. Über Jahrhunderte sind Stein um Stein allmählich (bisher entdeckte sieben Herrschaftsperioden übereinander) gebaut worden und auf unerklärliche und brutale Weise wahrscheinlich von anderen Stämmen, kurz vor der Kolonialherrschaft ausgerottet worden.
Die Wahrnehmung der Zeit ist also relativ. Wie das heute innerhalb der indigenen Gruppen ist weiß ich nicht genau, aber die Spiritualität der vorhergegangenen Generationen ist weiterhin in der peruanischen Gesellschaft präsent. Die Menschen sind teilweise zwar verschlossener und schüchterner als die Europäer beispielsweise, aber die Blicke und das zwischenmenschliche Verhalten (welches erstaunlich wenige Worte benötigt und manchmal sogar nur auf Zeichensprache basiert) ist durchschaubarer und sehr ehrlich.
Werte, Traditionen und die kritische Auseinandersetzung
Tradition trifft Moderne
Immer wenn ich gefragt werde, warum ich nicht verheiratet bin und warum ich keine Kinder habe, versuche ich die Unterschiede zu Europa aufzuzeigen (Rückläufigkeit der katholischen Kirche, Geschlechtergleichberechtigungsabsichten, ökonomische Richtlinien, Karrierebestreben…)
Und letztens hat mir ein Peruaner bei einem Cusqueña negra (schwarzes Nationalbier) am Stammtisch im 700 Einwohnerdorf Tingo erklärt: „wenn es in Peru keine Ehe mehr gibt, dann bleibt gar nichts mehr übrig.“ Ob er seine Frau und Kinder schlägt, wenn er betrunken von der Dorfbar heimkommt, kann ich nicht ausschliessen, schliesslich lerne ich hier auch mit der Zeit immer kritischer zu werden und auch das schlimmste in Betracht zu ziehen. Eigentlich entspricht das überhaupt nicht meiner Natur und bringt meine positive Auffassung des Menschenbildes durcheinander, aber es schadet auf keinen Fall, besonders nicht als ständig im Mittelpunkt stehende Europäerin diese Attribute zu schärfen.
Huanchaco – der Ort des Wiedersehens
Da Lucia und ich größere Städte eher meiden, beschlossen wir im Trujillo naheliegenden Huanchaco zu bleiben. Nicht nur dass ich meinen Freund Rey dort wiedergetroffen habe, sondern auch Gabriela aus Oberösterreich (die wir in Chachapoyas auf einer Exkursion kennengelernten und wobei es uns beiden echt schwer fiel wieder länger österreichisch zu reden), James (den wir bereits in Atacames und Canoa trafen) und der komische Säufertyp aus dem Norden Europas (den wir aus Iquitos kennen) sind alle auch genau in der selben Woche wie wir am gleichen Platz gelandet. Wenn die Leute einen einholen, plötzlich wieder auftauchen oder einfach die gleiche Route haben, erscheint Südamerika manchmal gar nicht so groß. Den Rest erledigt der Lonely Planet, der bringt die Leute auf Reisen zusammen. Absolut cool war unser Sandboardtag mit abschliessender Cocktailverköstigung.
Sandboarden bei Trujillo – wo ist mein Radical blos?
Da Rey die ersten Tage nicht erreichbar war, beschlossen wir wiedermal das archäologische Angebot der Moche und Chimukulturen um Trujillo wahrzunehmen. Gleich bei Trujillo befinden sich die Ausgrabungsstätten Huaca del Sol y de la Luna (Tempel der Sonne und des Mondes). Noch heute sind die riesigen Grundmauern des einstmaligen „Meccas“ dieser Gegend beeindruckend und auch in dieser Kultur wurde eine Herrschaftsperiode auf der anderen aufgebaut. Erst seit kurzem werden die Tempel genauer erforscht. Trotzdem es in der Gegend wenig regnet, aber viele Sandstürme, die pralle Sonne und der Zahn der Zeit die Ruinen allmählich zerstören, haben auch die Peruaner endlich gecheckt, dass es die vielen kulturellen Schätze der vorhergehenden Generationen zu schützen gilt.
Huaca de la Luna
Huaca del Sol
Bevor es Lucia und mir dann doch fast zuviel wurde, mit den ganzen archäologischen Geschichtswälzerei, besichtigten wir aber noch die berühmten Ruinen von Chan Chan, um 1300 gebaut, gilt sie als die größte präkolumbianische Stadt Amerikas und die größte Lehmziegelstadt der Welt. Obwohl man bei den diversen Besichtigungen meist merkt, dass die Guides täglich ihre Touren mit festgelegten aber halbwegs witzigen Sprüchen durchziehen, kommt es immer wieder zu interessanten Diskussionen und interkulturellen Dialogen, welche die Geschichte dann doch wieder mit der Gegenwart verknüpfen. Nichts desto trotz was das vorerst genügend Einblick in die Geschichte der vorhergehenden Generationen.
Chan Chan
Nach dem Wochenende schafften Rey und ich es dann auch endlich uns wiederzusehen. Spätestens nachdem wir einem amerikanischen Freund von ihm halfen einen Vertrag für ein Charity Kinderkrankenhaus in Trujillo zu übersetzen, unserer Wiedersehen mit ein paar Cusqueña negra feierten und uns an ein paar alte Geschichten erinnerten – war alles wieder beim Alten zwischen uns und ich bin positiv überrascht wie Menschen über Jahre ohne viel Kontakt eine ähnliche Entwicklung anstreben können. Ich hoffe wir sehen uns bald wieder!
Wahlsonntag
Es ist wunderschön den mehr oder weniger bekannten Gesichtern auf der Reise ein Signifikat zu geben und ich kann es manchmal kaum fassen, wie mir Menschen in kürzester Zeit so ans Herz wachsen können. So werden Menschen zu Reisegefährten, Wegbegleitern, Freunden und wichtigen Lebensinhalten. Momentan ist Lucia, mit der ich ja inzwischen seit Anfang Dezember gemeinsam unterwegs bin, meine wichtigste Bezugsperson: meine Freundin, meine Tante, meine Mamita, meine Schwester! Wenn man solange und in den unterschiedlichsten Situationen zusammen reist, muss man sich schon leiden können und die andere Person sehr respektieren. Wir haben das grandios bewältigt und das war sicher nicht die letzte Reise die wir gemeinsam gemacht haben. Noch bleiben uns aber drei Wochen, bevor sie zurück nach Italien fliegt. Ich habe vor noch zwei Monate alleine weiterzureisen und meine Freunde quer über den Kontinent zu besuchen, da ich es doch vermeiden möchte zulange alleine unterwegs zu sein und die Zeit doch noch nicht reif ist nachhause zu fliegen. Außerdem hab ich eh schon seit Monaten vor die Lech-Lisi in Tucuman in Argentinien zu besuchen.
Perfekte Momente
Nach einer Woche in Trujillo/Huanchaco konnten wir endlich nach dem verrückten Wahlwochenende der Präsidentenwahlen in Peru nach Lima weiterfahren. In Peru scheint sich jede/r für Politik zu interessieren, vielleicht auch weil bei Wahlentzug eine Strafgebühr verrichtet werden muss und der junge „demokratische“ Charakter des Landes auf einer diktatorischen, korrupten Vergangenheit beruht. Die Wahlwerbeplakate sind einfach nur ein Witz: „Vertraue mir!“ oder „El negrito lindo“ (der hübsche Schwarze) erwecken nicht gerade das Vertrauen sondern wirken naiv und schwammig. In den kommenden Stichwahlen wird erneut entschieden ob Konservativ oder korrupte Feministin. Aber lateinamerikanische Politik ist nicht wirklich meine Leidenschaft. Kulturelle und soziologische Einblicke schon! Deshalb wollte ich auch unbedingt in die Hauptstadt. Ich bin wirklich positiv erstaunt, welche Infrastruktur und Lebensqualität Lima aufzuweisen hat. Bogota ist kein Vergleich dazu, die Preise und die geringe Verbrecherrate auch nicht. Sobald wir uns aber etwas ausserhalb der „rosaroten“ Zonen befanden, wurden wir von den Einheimischen zurückgeschickt und gewarnt aufzupassen. Kein Wunder also, dass so viele Touristen in Lima sind.
Da wir nun immer mehr Orte auslassen müssen, weil Lucia noch La Paz/Bolivien sehen möchte, bevor sie heim fliegt und man sowieso nie alle Plätze in einem Zielland sehen kann bzw in kurzer Zeit Plätze eben nur relativ kennenlernen kann, beschlossen wir als nächste Destination bereits Nazca zu besuchen. Was für ein energiegeladener Ort! Bis heute bleiben die Nazcalinien ein Mysterium für die WissenschaftlerInnen. Über 800 Linien, 300 geometrische Figuren und cirka 70 Tier- und Pflanzenzeichen sind in eine trockene, sonnengebleichte Ebene eingezeichnet und mittendurch zieht sich zu allem Überfluss die Panamericana. Leider wird Nazca von vielen Touristen überströmt, dennoch finde ich dass es einen Besuch wert ist. Vor allem die Arbeit der deutschen Mathematikerin Maria Reiche, welche neben weiteren interessanten Theorien, viel Aufschluß über die Bedeutung der Linien bietet, sind sehr faszinierend (am 21. Juni geht die Sonne genau über der astronomischen Linie des Affen unter). Kurz vor unserer Abreise nach Cusco haben wir wiedermal ein Fernsehteam kennengelernt, leider hatten wir aber keine Zeit mehr ihre Einladung wahrzunehmen, mit ihnen in die Berge zu fahren um die scheinbar besondere Energie dort zu erfahren.
Unser nächster länger Aufenthaltsort ist Cusco und ich kann es kaum erwarten endlich das Machu Pichu zu sehen. Mein Rucksack hat sich inzwischen auch wieder sehr gefüllt, da ich meine Sachen nicht mehr überall vergesse, weil ich inzwischen schon ans Reisen gewohnt bin und mit der Zeit eben auch einige Dinge zusammenkommen. Erfahrungen, Gefühle und Eindrücke erfüllen zusätzlich meine Reiseerlebnisse. Meine Liebe zum Detail ist wieder voll entfacht, die freie Zeiteinteilung trägt ihren Dienst dazu bei und meine Realität könnte momentan nicht magischer sein.
Leider kriege ich auf meiner Reise nicht alle Neuigkeiten heiß und frisch mit, aber irgendwann sickert doch das Wichtigste zu mir durch. Kann ich denn nicht mal schnell ein halbes Jahr verschwinden, ohne dass der Babyboom zuhause um sich schlägt? Ich freu mich so sehr und ich kann es schon kaum mehr erwarten euch zu sehen. Wenn da nicht meine Reisemission wäre. Nach der intensiven Beschäftigung mit Argentinien in meiner Diplomarbeit will ich unbedingt noch die letzten Wochen meiner Reise dort verbringen.
So bei mir ist grad Happy Hour mit Pisco Sour: Auf die qualitative neue Generation und die magischen Details im Leben!
Chachapoyas
Spuren der Eiszeit
Carla und Yeraj
Andenpanorama
Huanchaco
Huanchaco
Am 21.04.2011 um 15:07 Uhr
Geschlechtergleichberechtigungsabs….. WAS?
Am 22.04.2011 um 01:47 Uhr
Ja ok, das Wort ist definitiv zu lang.